Die Tyrannei der Guten

Alexander U. Martens Die Tyrannei der Guten

LF Alexander U. Martens

Der sogenannte „Nichtraucherschutz", der in Wahrheit ja nichts anderes als ein möglichst umfassendes Rauchverbot ist, ist dafür ein, wenn auch besonders gutes Beispiel. Denn an ihm wird geradezu erschreckend deutlich, mit welchen an Hysterie grenzenden Zwangsmitteln gut ein Drittel unserer Bevölkerung zu Nichtrauchern umerzogen werden soll. Da sind selbst ernannte Missionare am Werk, die es in ihrer Überheblichkeit sogar für richtig halten, ihren rauchenden Mitmenschen bei Wind und Wetter wie räudige Köter vor die Tür zu schicken – was ist schließlich schon so eine harmlose Lungenentzündung gegen die lebensbedrohliche Gefahr des Passivrauchens?

Ich will nicht falsch verstanden werden: Natürlich ist Rauchen nicht gesund; es verengt die Gefäße, es kann zu Herz- und Kreislaufkrankheiten führen, es kann impotent machen, chronische Bronchitis und, im schlimmsten Fall, Lungenkrebs verursachen. Erstaunlich nur, dass so viele Menschen, die ihr Leben lang geraucht haben, erst hochbetagt sterben. Menschen im übrigen, die in einer Zeit heranwuchsen, in der noch nicht versucht wurde, das Rauchen gesellschaftlich zu ächten, und die mithin mutmaßlich zumeist als Passivraucher groß wurden.

Um diese, um deren Unversehrtheit, geht es in erster Linie ja angeblich den besorgten Gesundheitshütern, deren stärkstes Argument eine Zahl ist, die nun schon seit einigen Jahren, erstaunlicherweise immer unverändert, durch die Medien geistert: Zwischen 3000 und 3500 Tote seien jährlich in Deutschland als Opfer des Passivrauchens zu beklagen. Was an dieser Zahl stutzig machen müsste, ist, dass man sie nirgendwo aufgeschlüsselt findet, weder nach Alter, noch nach Geschlecht, geschweige denn nach der konkreten Todesursache. Man täte vielleicht gut daran, diese rein statistische Zahl nicht einfach so unbesehen wiederzukäuen, sondern den Rat von Gerd Bosbach, seines Zeichens Professor für Mathematik und Experte für Statistikmißbrauch, zu beherzigen, der kürzlich in einem „Lufthansa Exclusive"-Interview sagte, es sei „generell bei Statistiken eine gute Idee zu fragen: Wem nützt das Ergebnis?" (Apropos Statistik: Beim sogenannten Volksentscheid in Bayern hat sich vor kurzem ja keineswegs das Volk für ein ausnahmsloses Rauchverbot in sämtlichen Gaststätten ausgesprochen, sondern es waren 61% von 37%, also gerade mal 22,6% der Wahlberechtigten. In einer repräsentativen Umfrage des „stern" haben sich Mitte Juli 82% gegen ein generelles Rauchverbot in Gaststätten votiert.)

Um auch hier nicht mißverstanden zu werden: Von der von manchem als solche empfundenen Geruchsbelästigung durch Zigaretten-, Zigarren- oder Pfeifenrauch (es gibt fürwahr noch genügend andere unangenehme Gerüche) einmal abgesehen, ist natürlich die Luft in einem Raum, in dem geraucht wird, nicht so gesund wie die in einem Höhenluftkurort. Sie ist aber auch nicht ungesünder, als, z.B., die Luft an vielen Arbeitsplätzen, an einer viel befahrenen Straße, beim Grillen, am Kaminfeuer oder bei Kerzenlicht. Und ganz besonders kontaminiert ist seit je die von Wachs- und Weihrauchdüften geschwängerte Luft in katholischen Kirchen.
Die Tatsache, dass dies natürlich auch die eifernden Nichtraucherschützer wissen, macht eines deutlich: Dass hier auf einem recht willkürlich abgesteckten Feld ein von keinerlei Objektivität angekränkelter Glaubenskrieg geführt wird, der nahezu fundamentalistische Züge angenommen hat und augenscheinlich nichts von jener Toleranz duldet, die zu üben wir doch sonst allerorten aufgerufen sind. Es kann mit unseren angeblich doch freiheitlichen Weltverständnis jedenfalls so weit nicht her sein, wenn nicht einmal mehr Gastronomen für sich privat entscheiden dürfen, ob in ihren Räumen geraucht werden darf und so auch dem angeblich doch mündigen Bürger, zumindest in seiner Eigenschaft als Gast, jegliche Wahlfreiheit genommen wird.

Ich kann mir nicht helfen: Für mich ist dieser Kreuzzug im Namen des Nichtraucherschutzes, der dazuhin mit so dümmlichen Warnhinweisen wie „Rauchen kann tödlich sein" auch noch die Intelligenz beleidigt – das Leben ist tödlich oder, um es mit Friedrich Torberg zu sagen, „auch Nichtraucher müssen sterben" – nichts anderes als ein, offenbar funktionierendes Ablenkungsmanöver von den wirklichen Problemen dieser Welt, in der immer noch täglich Tausende von Kindern Hungers sterben, in der Milliarden von Menschen weder ausreichend zu essen noch Zugang zu sauberem Wasser oder ein richtiges Dach über dem Kopf haben, in der noch immer Kriege geführt werden und in der, trotz oder gerade wegen der Globalisierung, die Kluft zwischen arm und reich immer größer wird. Und auch hierzulande gibt es ja wirkliche Probleme genug, etwa die Folgen jahrzehntelang verfehlter Bildungs- und Integrationspolitik, eine zunehmend gewalttätiger werdende Jugendkriminalität, die deutlich werdenden Grenzen unseres Sozialstaates in Hinblick auf die demographische Entwicklung.

Und wenn sich nun die EU ein „rauchfreies Europa" aufs Panier schreibt und sich schon den Kopf über „neutrale" Zigarettenpackungen ohne Markenlogo, dafür aber mit Fotos von verkrebsten Raucherlungen den Kopf zerbricht, dann wäre es wohl dringlicher, endlich zu einer europäischen Außen-, Sicherheits-, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu kommen. Freilich ist das mühseliger, als an immer mehr Stellen, sei es durch Glühbirnenverbot oder aggressiven Nichtraucherschutz, die persönlichen Freiheiten der Bürger zu beschneiden.

Der britische Philosoph und Natinalökonom John Stuart Mill beschäftigte sich 1859 in seinem Essay „On liberty" mit Ausmaß und Grenzen individueller Freiheit. Er zieht diese Grenze zwar da, wo es darum geht, „die Schädigung anderer zu verhüten", aber: „Das eigene Wohl, sei es das physische oder das moralische, ist keine genügende Rechtfertigung. Man kann einen Menschen nicht rechtmäßig zwingen, etwas zu tun oder zu lassen, weil dies besser für ihn wäre, weil es ihn glücklicher machen, weil er nach Meinung anderer klug oder sogar richtig handeln würde."

Nach diesem John Stuart Mill ist das vor zwei Jahren gegründete – übrigens das bisher einzige an einer deutschen Hochschule – Institut für Freiheitsforschung an der SHR Hochschule in Heidelberg benannt. Dessen Direktorin, Prof. Dr. Ulrike Ackermann, schreibt in ihrem Buch „Eros der Freiheit" (Klett-Cotta, 2008) u.a. „Wir können unsere Freiheit zum Guten wie zum Bösen nützen. Die Ambivalenzen und Widersprüche, in die sie uns verwickelt, kann uns jedoch niemand abnehmen, die müssen wir schon selbst aushalten. Aber wir sind so erwachsen geworden, dass wir keine Tugendwächter brauchen, weder den Staat noch eine Ideologie, die uns moralisch oder politisch vorschreibt, wie wir zu leben haben und wie unser Glück auszusehen hat. E gibt keine bestimmte Konzeption des guten Lebens, die für alle gültig wäre, aber das Recht eines jeden, frei und gleich geboren, sein jeweiliges Glück zu verfolgen."

Dies zu beherzigen, im Großen wie im Kleinen, stünde uns nicht schlecht zu Gesichte. Schließlich steht das „L" bei uns Lions für „Liberty".