Vorsicht Fernsehen!

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer Vorsicht Fernsehen!

Warum sehen Kinder eigentlich so gerne fern?
Prof. Spitzer: Der Hauptgrund ist sicherlich die Gewöhnung an das Medium. Wenn man Kinder, die ohne Fernseher aufgewachsen sind, vor den Fernseher setzt, sind sie zwar interessiert, langweilen sich aber bald. Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass Menschen – vor allem Kinder – ein hohes Kontrollbedürfnis haben. Sie fühlen sich sicher und wohl, wenn sie etwas sehen, was sie schon kennen. Der Wiederholungseffekt ist z. B. bei Serien sehr hoch, und das fasziniert vor allem kleinere Kinder. Man kann ihnen ja auch ein Buch wieder und wieder vorlesen, und sie werden nicht müde, es noch einmal zu hören, sondern verbessern den Vorleser sogar noch.

Ist es für Kinder wichtig, dass sie lernen, mit dem Fernsehen umzugehen, oder ist das Fernsehen eher schädlich?
Prof. Spitzer: Fernsehen in einer frühen Entwicklungsphase, vor allem im Kleinkindalter, schadet, weil das Kind seine Zeit gewissermaßen vertut: Ratten, die in Käfigen aufwachsen, in denen es langweilig ist, weisen Defizite in der Gehirnentwicklung auf. Nun könnte man meinen, dass der bunte Bildschirm dem Kind viel Stimulation bietet. Dem ist jedoch nicht so: Das kindliche Gehirn braucht alle Sinne, um sich die Welt zu erschließen: Es muss riechen, schmecken, begreifen (in den Mund stecken), sehen und hören können. Genau das leistet der Fernseher nicht! Wer seinen Säugling vor den Fernseher setzt, muss wissen, dass er ihn dann auch gleich in den dunklen Keller setzen kann. Deshalb ist Fernsehen bei kleinen Kindern ganz unabhängig vom Programm immer schädlich.

Ersetzen Computerspiele und Gameboy den Fernseher, oder kommen diese Medien noch dazu?
Prof. Spitzer: Fernsehen ist immer noch das Leitmedium und steht zeitlich an erster Stelle. Aber Computer, Gameboy und Handy kommen dazu und verringern den hohen Fernsehanteil. Das Handy wird benutzt für Spiele, zum mp3- und Radiohören und natürlich für Gespräche. Zunehmend nutzen Kinder diese ganzen Medien parallel, d. h. sie schauen fern und spielen dabei Computer.

Auf Kosten welcher anderen Betätigung geht denn die Zeit für das viele Fernsehen?
Prof. Spitzer: Befragungen zeigen, dass z.B. Sport, Basteln oder das Erlernen eines Musikinstrumentes zurückgehen. Die Lesezahlen sind seit den 80er Jahren sehr gering (derzeit 17 Minuten pro Tag) und können daher kaum noch zurückgehen.

Bei Übergewicht von Kindern und Jugendlichen wird das Fernsehen als eine wichtige Ursache genannt. Stimmt das?
Prof. Spitzer: Sehr viele Studien bestätigen diesen Zusammenhang ganz eindeutig: Fernsehen macht dick! Eine wichtige Ursache ist der Bewegungsmangel: Wer viel Zeit vor dem Fernseher verbringt, der bewegt sich weniger und verbrennt weniger Energie.

Welche Auswirkungen hat Übergewicht in der Kindheit für später?
Prof. Spitzer: Diese Auswirkungen sind gravierend, und das ist ja ein sehr aktuelles Thema, z. B. die Bluthochdruckerkrankungen und Erkrankungen der Herzkranzgefäße. Der Bewegungsmangel führt auch zu einer Verminderung der Knochendichte, wie erst kürzlich nachgewiesen wurde. Und das Übergewicht belastet die Gelenke zusätzlich und bewirkt früher einsetzende Arthrosen. Dazu kommt der Typ2- oder Altersdiabetes. Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden heute an dieser Krankheit, die man eigentlich nur von alten Menschen kennt. Bedingt durch falsche Ernährung, Übergewicht und zu wenig Bewegung verlagert sich diese Krankheit immer mehr ins Jugendalter.

Es gibt viele Fernsehsendungen, bei denen Kinder viel lernen können. Werden Kinder dadurch in ihrer Entwicklung gefördert?
Prof. Spitzer: Wenn es den Eltern wirklich gelingt, die Sendungen so auszuwählen, dass sie den Erfahrungen des Kindes, seinem Entwicklungsstand und seinem Interesse entsprechen, dann können solche Sendungen vielleicht förderlich wirken. Natürlich kann es gut für ein Kind im Schulalter sein, wenn es eine Sendung sieht, die vom Inhalt und vom Alter her geeignet ist und aktuell in seine Entwicklung passt – so wie jedes Buch, jede Diskussion, jedes Gespräch, das man mit einem Kind in einem bestimmten Alter führt. Es ist einfach eine große Herausforderung für die Eltern, aus dem Überangebot an Sendungen das Richtige auszuwählen. Oft fehlt den Eltern auch die Zeit, sich beim Fernschauen neben die Kinder zu setzen und dann noch mal alles zu erklären. Kleinere Kinder sollten nicht fernsehen.

Was weiß man über den Zusammenhang von Fernsehen und schulischer Leistung?
Prof. Spitzer: Ein Fernseher im Kinderzimmer bewirkt eine geringere Leistung in der Schule. Fernsehen im Kindergartenalter bewirkt dosisabhängig eine deutliche Minderung der Chance, im Erwachsenenalter einen akademischen Abschluss zu haben, wie eine große neuseeländische Studie zeigt. Fernsehen verursacht Aufmerksamkeits- und Lese-Rechtschreib-Störungen.

Kann man ein Kind auch ohne Fernseher aufwachsen lassen? Und ab wann sollten Kinder frühestens fernsehen?
Prof. Spitzer: Bei Vorschulkindern ist Fernsehen unangebracht, und auch Grundschulkinder müssen nicht unbedingt fernsehen. Oft denken Eltern, sie müssen ihren Kindern Fernsehen und Computer bieten, damit sie sich gut entwickeln. Aber man weiß, dass sich Kinder gerade dann exzellent entwickeln, wenn sie das alles nicht haben. Kinder brauchen die Gelegenheit, Erfahrungen selbst zu machen, Dinge auseinander zu nehmen und wieder zusammenzusetzen, sich auszutoben und im Spiel mit Gleichaltrigen etwas über sich selbst zu lernen – aber sie brauchen kein Fernsehen.

Gekürztes Interview! Entnommen aus klarotext, Herausgeber: Verein Programm Klasse2000 e. V. Lesen Sie unter www.klasse2000.de (Tipps für Eltern) den Orginaltext!

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