Neue Völkerwanderung

Wenn Fremdenhass die Willkommenskultur verdrängt Neue Völkerwanderung

Die Bilder, die wir täglich erleben, schockieren. Menschen in überfüllten Booten, Leichen im Meer, tote Flüchtlingsfamilien in LKW. Menschen, die ihre ganze Hoffnung auf eine für sie neue Welt setzen, die ihr Heil in der Flucht aus ihren durch Kriege zerstörten Ländern sehen. Das Ziel: das reiche Europa.

Was hier stattfindet, ist eine moderne Völkerwanderung, eine geballte Ladung Verzweiflung, die zunächst in überfüllten Asyllagern endet. Wir erinnern uns: In alten Zeiten fand die Völkerwanderung der Goten, der Wikinger und der Kelten von Nord nach Süd statt. Das war im vierten und fünften Jahrhundert. Meist verbunden mit blutigen Eroberungsschlachten. So entstand beispielsweise die Normandie. Die Westgoten zog es bis nach Spanien. Es war eine gewaltige vorher nie gekannte Migrationsbewegung, die in der Thronbesteigung des Goten Theoderich in Rom gipfelte. Ravenna wurde die neue Metropole der Macht. Und heute?

Man kann den Eindruck gewinnen, dass Europa das Problem der Flüchtlinge unterschätzt hat: Hundertausende stehen vor der Festung Europa. Festung? Europa ist mit dieser neuen Situation offenbar überfordert. Statt Entscheidungen gibt es immer noch zu viel Bürokratie und Kompetenzgerangel - nicht nur zwischen den EU-Staaten. Es ist eine große Herausforderung, mit vereinten Kräften und ohne parteipolitische Brille das Problem zu schultern. Da sind alle gefragt. Mit dumpfen Hassparolen ist dem nicht beizukommen. Mit Ausländerfeindlichkeit ebenfalls nicht.

Gibt es eine europäische Nation, die stärker von Wanderungen geprägt wurde als unsere – eigentlich von Beginn an? Die Wirtschaft an der Ruhr brauchte um 1900 ihre polnischen Bergarbeiter, die Schimanskis und Kuzorras. Auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg war es so: Der gewaltige Treck der Vertriebenen, der Zufluss der Gastarbeiter, der Russlanddeutschen – Millionen hat dieses Land integriert, es gelang mehr oder minder gut. Nun kommen die Boat-People.

Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Sicher, die weitaus meisten verharren in ihren Ländern, in Lagern in der Wüste oder am Rand ruinierter Städte. Dennoch brechen so viele wie nie nach Europa auf. Sie tun es allen Warnungen zum Trotz mit einer todesverachtenden Energie und voller Sehnsucht nach Europa, das vor 70 Jahren noch in Trümmern lag. Schauten so nicht ganz ähnlich um das Jahr 400 Vandalen, Langobarden, Goten und Franken aus ihren Steppen und Wäldern jenseits des Limes auf das ewige Rom und das prächtige Byzanz? Haben wir also heute Angst vor dem Untergang des Abendlandes, wie einst das römische Imperium? Die heutigen Flüchtlinge kommen nicht als plündernde Soldateska (rohes Kriegsvolk, d. Red.), sondern als in ihren Ländern Bedrohte. Das ist der Unterschied: Der moderne Flüchtling ist ein Teil der globalisierten IT-Welt. Nicht nur Infos und Waren zirkulieren schneller denn je, auch Träume und Illusionen - von Menschen, die nichts zu verlieren haben als ihre Hoffnung auf ein sicheres Leben in einer zivilisierten Welt.

Wir Lions sind weltweit in humanitären Activitys unterwegs. Das ist gut so. Das ist vorbildlich. Nun sollten wir auch in unserem Land in unsere Herzen schauen und nicht nur in unseren Geldbeutel. Es gibt viel zu tun. Hic Kos! Hic salta!

Von Wulf Mämpel